Geschichte 75 Jahre Grundgesetz
Die Steine für die Mauer, die zu errichten „niemand die Absicht“ hatte
Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn präsentiert die Erfolgsgeschichte Deutschlands seit 1945. WELT hat sich zum Jubiläum in Ausstellungen und Magazinen umgeschaut. Heute: Die Blöcke, die Berlins Teilung sichtbar machten.
| Lesedauer: 4 Minuten
Von Sven Felix Kellerhoff
Leitender Redakteur Geschichte
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Politiker lügen mitunter – viele selten bis nie, aber manche oft bis fast dauernd. Zur zweiten Gruppe gehörte Walter Ulbricht, als Generalsekretär der SED der starke Mann in der DDR. Am 15. Juni 1961 gab er vor den Mikrofonen zahlreicher Journalisten aus verschiedenen Ländern seine sicher dreisteste Unwahrheit von sich.
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„Ich verstehe Ihre Frage so“, antwortete er auf die Wortmeldung einer Reporterin aus Frankfurt/Main, „dass es in Westdeutschland Menschen gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, eine Mauer aufzurichten, ja?“
Hier stockte Ulbricht kurz, drehte den Kopf zu seinem Nachbarn auf dem Podium und ließ ein „Ähhh“ hören, um dann fortzufahren: „Mir ist nicht bekannt, dass solche Absicht besteht, da sich die Bauarbeiter in der Hauptstadt hauptsächlich mit Wohnungsbau beschäftigen und ihre Arbeitskraft dafür voll ausgenutzt wird, voll eingesetzt wird.“ Dann ergänzte er in nasalem Sächsisch jenen Satz, der für immer mit seinem Namen verbunden bleiben wird: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“
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Zu dieser Zeit liefen die Vorbereitungen zur Sperrung der innerstädtischen Grenze zwischen dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin und den drei westlichen Teilen schon seit Monaten. Spätestens am 1. Mai 1961 wussten US-Geheimdienste, dass die SED den Bau einer Mauer entlang der Sektorengrenze erwog. Mitgeteilt hatte das ein Abteilungsleiter des DDR-Außenministeriums, der sich in den Westen abgesetzt hatte und in die USA ausgeflogen wurde. In Ost-Berlin fänden seit Januar 1961 konkrete Planungen zur Unterbindung der Fluchtbewegung nach West-Berlin statt.
Wann genau die ersten Hohlblocksteine zum Bau der Sperranlagen in die Nähe gebracht wurden, ist unbekannt. Auf manchen Lieferscheinen findet sich das Datum 30. April 1961, jedoch ist nicht sicher, ob die aus Zement und Sand hergestellten, 30 mal 25 mal 23,5 Zentimeter messenden und pro Stück sechs Kilogramm schweren Blöcke tatsächlich bereits für den bevorstehenden Mauerbau angeliefert wurden. Denn das grobe Material benutzten die Baubrigaden in Ost-Berlin auch für viele andere Aufgaben, etwa für das Flicken von Bombenschäden in den seinerzeit immer noch häufigen Kriegsruinen.
An der Bernauer Straße zwischen den Bezirken Mitte (im sowjetischen Sektor) und Wedding (französischer Sektor) lag ein besonderer Brennpunkt der Demarkationslinie. Denn aufgrund der historischen Entwicklung der Stadt bildeten die Wände der Häuser auf der Südseite die (bis dahin unsichtbare) Grenze, während die Bürgersteige davor zum freien Teil der Stadt gehörten.
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Hier begann, nachdem am 13. August zunächst „nur“ Stacheldrahtrollen ausgelegt worden war und DDR-Uniformierte anschließend Zäune an Pfosten gespannt hatten, zwei Tage später der Bau der eigentlichen Mauer. Zunächst wurden die Straßenmündungen zwischen den Häusern verschlossen, indem eine Reihe von meist 100 bis 140 Zentimeter im Quadrat großen und 25 Zentimeter dicken Betonblöcken mit Lastwagenkränen hochkant aneinander gestellt wurden.
Darauf mauerten „Bauarbeiter unserer Hauptstadt“, wie Ulbricht gesagt hatte, unter bewaffneter Bewachung mit ordentlich Mörtel mehrere Lagen Hohlblocksteine; waren es nur zwei, kamen oft noch zwei Lagen Betonschwellen darauf. Bis Ende August 1961 waren nicht nur Straßenmündungen an der Bernauer Straße, sondern auch andere Brennpunkte der innerstädtischen Grenze so versperrt, zum Beispiel am Potsdamer Platz und in der Zimmerstraße. Bis zum 9. November 1989 versperrten entlang der insgesamt 156,4 Kilometer rund um West-Berlin 111,9 Kilometer Mauern und 44,5 Kilometer Metallgitterzäune den Weg aus Ost-Berlin oder dem Umland.
Weil die „pioniertechnischen Anlagen“, so die DDR-Tarnvokabel für die Berliner Mauer und die innerdeutsche Grenze neben der bekannteren Prägung „antifaschistischer Schutzwall“, in den mehr als 28 Jahren ihrer Existenz ständig modernisiert und verstärkt wurden, sind nur relativ wenige Originalmauersteine von 1961 erhalten. Im „Tränenpalast“, der Ausstellung zum DDR-Grenzregime am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin-Mitte, einer Dependance des Bonner Hauses der Geschichte, stehen immerhin drei von ihnen.
Deutscher Bundestag und Haus der Geschichte bitten alle, die persönliche Erinnerungsstücke zum Parlamentarismus in Deutschland besitzen, diese zu fotografieren und ihre eigene Geschichte dazu zu erzählen. Details finden sich im Aufruf: Ihr Parlament. Ihre Erinnerungen.